Wie ein Gangsta die Welt das Gärtnern lehrt

 
Ron+Finley%2C+Gansta+Gardener.jpg

«Mein Ziel ist es, eine Gartenrevolution zu entfachen, in der Gärtnern ‹Gangsta› ist, in der gute Luft ‹Gangsta› ist, wo fruchtbare Erde ‹Gangsta› ist.»

«Wenn Kinder Grünkohl anbauen, essen sie Grünkohl; wenn sie Tomaten anbauen, essen sie Tomaten», sagt Ron Finley.»

Was das Ron-Finley-Projekt erreichen will: Über gesunde Ernährung und die Vorteile der Selbstversorgung aufklären. Im Fokus sind Kinder.

Begonnen hat seine Geschichte mit der Suche nach Schönheit und ein paar Gemüsepflanzen vor der Haustüre. Heute ist der Künstler, Designer und «Gangsta Gardener» Ron Finley ein globales Phänomen. Er hat gezeigt, dass Gärtnern ein politischer, ein revolutionärer Akt ist. Seine Botschaft: Denkt grösser, denkt freier. Und vor allem: gärtnert. Denn Gärtnern kann die Welt retten.

Als Teenager hat Ron Finley die Rasenflächen seiner Nachbarn gemäht, heute verwandelt er brachliegende Grundstücke und Grünstreifen entlang von Strassen in gemeinschaftlich genutzte Lebensmitteloasen. Damit hat er eine globale Bewegung in Gang gesetzt. Er gilt als Provokateur, Trendsetter, Pionier; Medien wie die Los Angeles Times, The Guardian, NBC oder The New York Times haben über ihn berichtet. Ron Finleys Aufstand begann vor zehn Jahren. Ohne Erlaubnis pflanzte er Blumen und Gemüse auf den Grünstreifen vor seinem Haus in South Central LA, einem Stadtteil der Millionenstadt Los Angeles. 2013 erzählte er davon in den TED-Talks – Expertengespräche aus Bereichen wie Bildung, Wirtschaft oder Wissenschaft, von denen die besten als Videos kostenlos ins Netz gestellt werden. Das Video ging viral; 3,5 Millionen Menschen sahen es.

Ron Finley’s Garten in einem Schwimmbecken in South LA. Foto: MOVI

Ron Finley’s Garten in einem Schwimmbecken in South LA. Foto: MOVI

Gesundes Essen als soziale Frage

«In South Central LA ist es leichter an illegale Drogen zu kommen, als an gesundes Gemüse», sagt Ron Finley. «Wer einen frischen Bio-Apfel kaufen will, muss mit dem Auto 45 Minuten lang fahren.» Denn Hautfarbe, soziale Schicht und Einkommensverhältnis entscheiden darüber, was man isst – und darüber, wie gesund man isst. Die wenigsten Menschen würden wissen, dass es in einkommensschwachen Vierteln wie South Central LA keine Supermärkte gibt. «Stattdessen werden die Areale mit Junk-Food-Ketten, Spirituosenläden, Dollar-Stores sowie Dialyse-Zentren zugepflastert und mit Betonflächen versiegelt. In meiner Nachbarschaft ist Fast Food billiger als Obst und Gemüse.» Aber wer arm ist, kann sich nur das schnelle Essen für wenig Geld leisten. «Das Resultat sind chronische Krankheiten und Fettleibigkeit – und damit steigende medizinische Kosten.» Fünfmal höher als im kaum 13 Kilometer entfernten Beverly Hills sei die Fettleibigkeitsrate in seiner Nachbarschaft. Wie Pilze seien die Apotheken und Krankenhäuser in den letzten Jahren aus dem Boden geschossen. «Die Menschen sterben häufiger an heilbaren Krankheiten als an der Bandenkriminalität. Unser Lebensmittelsystem ist rassistisch, und zwar mit System.» Für Ron Finley war klar: Das muss sich ändern. «My design to change the design», sein Schlachtruf, auf deutsch: «Mein Anliegen ist es, dieses Muster zu durchbrechen».

Ein Haftbefehl für Gemüseanbau

Direkt auf dem 3x45 Meter grossen Grünstreifen vor seinem Haus startete die Revolution. «Ich wollte endlich etwas Schönes sehen und riechen», sagt er. Also pflanzte er Bananenstauden, Agapanthus, Jasmin und Lavendel; Kürbis, Grünkohl und Sonnenblumen. Und vieles mehr. Doch auch wenn die Anwohner die Nutzungsfreiheit über diese sogenannten Parkways haben, liegt die Kontrolle in den Händen der Stadt. Ron Finleys nach Jasmin duftender Garten entsprach nicht den städtischen Verordnungen. Es kam zu einer Beschwerde, der Haftbefehl folgte. Also reichte Finley eine hundertfach unterzeichnete Petition für das Recht ein, zu gärtnern und eigenes Essen anzubauen. Die Stadt lenkte ein; das Gärtnern auf dem Parkway wurde legalisiert. Heute geht Ron Finley mit Stolz durch die Strassen seines Quartiers. Überall sind Gemeinschaftsgärten entstanden, in denen es grünt und gedeiht. Passanten sind ausdrücklich dazu aufgerufen, sich an den Früchten zu bedienen. Er zeigt den Kindern aus der Nachbarschaft, wie sie gesunde Lebensmittel ohne Pestizide anbauen können, weckt ihre Begeisterung für das, was die Natur frei zur Verfügung stellt. Oft ist es das erste Mal, dass sie eine Karotte sehen. Eine von ihm gegründete Freiwilligengruppe unterstützt andere Einwohner von South Central LA dabei, ihre Rasenflächen in essbare Gärten zu verwandeln.

Foto: MOVI

Foto: MOVI

Eine horti-kulturelle Revolution

Doch das Ron-Finley-Projekt hat erst begonnen. «Mein Ziel ist es, eine Gartenrevolution zu entfachen, in der Gärtnern ’Gangsta’ ist, in der gute Luft ’Gangsta’ ist, wo fruchtbare Erde ’Gangsta’ ist.» In dieser veränderten Werte-Perspektive würden schon junge Kinder ihre Ernährung kennen; frische Lebensmittel stünden nicht ein paar wenigen, sondern ganzen Gemeinschaften zur Verfügung. Ihr Anbau wäre ein Akt der Emanzipation. Denn zwischen Äpfeln, Birnen und Kohlköpfen ist die Freiheit das Wichtigste, was Ron Finley kultiviert. «Freiheit in unseren Köpfen. Die Menschen müssen wieder lernen, Essbares zu pflanzen, denn nur das macht sie frei.» Inzwischen reist Ron Finley um die ganze Welt – oder wird es wieder machen, sobald die Corona-Krise es möglich macht – besucht soziale Gartenprojekte, informiert, hält Vorträge. Seine Tutorials in der «MasterClass» einer US-amerikanischen Online-Bildungsplattform, in der renommierte Personen Studenten Zugang zu Vorlesungen bieten, gehören zu den beliebtesten – womit er andere Referenten wie den Regisseur Martin Scorsese, die Schauspielerin Natalie Portman oder den Koch Yotam Ottolenghi weit hinter sich lässt. Einfach indem er zeigt, wie man durchs Anpflanzen von Gemüse Freiheit sät. Kann Gärtnern die Welt verändern? Mehr als das, antwortet der Gangsta Gardener. «Gärtnern ist die Lösung, um sie zu retten.»

Noch mehr Lesenswertes über Ron Finley:
www.ronfinley.com



Text: Judith Supper

 
Zurück
Zurück

Zum wilden Gärtner – wo Pflanzenfreund auf Gärtnerin trifft

Weiter
Weiter

Das April-Heft