Fest verwurzelt

Sie begegnen uns überall und wir erfreuen uns an ihrem prachtvollen Anblick: Üppig blühende Gärten vor traditionellen Bauern­häusern prägen seit jeher das ländliche Bild der Schweiz. Dass es sich bei diesen Bauern­ gärten auch um gelebtes historisches Erbe der hiesigen Landwirtschaftskultur handelt, wird heutzutage jedoch oft übersehen.

Text und Bilder: Daniela Ruf


Komturei Tobel – ein geschichtsträchtiger Bauerngarten, der viele Handschriften trägt und in dem sich die Natur an einigen Stellen frei entfalten darf. Ein gelungener Balanceakt zwischen kultivierter Fläche und freier Wildnis.

Die Wurzeln der Bauerngärten reichen in der Schweizer Geschichte weit zurück. So vermutet man, dass sie so alt sind wie das Bauerntum selbst. Urkunden aus dem achten Jahrhundert dokumentieren das Bestehen eingefriedeter Gärten, das ursprüngliche Hauptmerkmal eines Bauerngartens. Eine solche Umzäunung sollte den Garten vor ungebetenen Gästen schützen und so entstand wohl auch der Ursprung des Wortes Garten, nämlich «Hortus» – was so viel wie «das Umzäunte» bedeutet.

 

Damals dienten diese Gärten den Bauern in erster Linie zur Selbstversorgung und gehörten zu jedem Hof dazu. Er war vor allem ein Mittel zum Zweck. Erst später, beeinflusst durch das Vorbild der mittelalterlichen Klöster, umfassten Bauerngärten oft ein Trio aus Gemüse, Blumen sowie Küchen- und Heilkräutern. Quasi eine Bepflanzung für alle Lebenslagen. Die für den Bauerngarten oftmals charakteristische Verwendung von Buchs und die geometrische Beetstruktur sind der Zeit der Renaissancegärten zu verdanken. Besonders die Emmentaler Bauerngärten unterschieden sich im 17. Jahrhundert bis auf die Grösse kaum von ihren Vorbildern in Italien. Und die französischen Barockgärten brachten neue ausgefallene und ausländische Blumen in die Bauerngärten der Schweiz. Diese herrschaftliche Strömung nahm Anfang des 19. Jahrhunderts ein jähes Ende, bedingt durch die Massenarmut infolge der industriellen Revolution. Aus Notwendigkeit rückte die Selbstversorgung wieder in den Vordergrund und die Bauerngärten wurden dementsprechend zweckmässiger. Erst als um die Jahrhundertmitte neues Gemüse und schmackhaftes Obst in Busch-, Pyramiden- und Spalierform aufkamen, wandelte sich das Bild der Bauerngärten aufs Neue. Damals begann man auch Rosenbäumchen und berankte Bögen als ästhetische Stilmittel zur Gartengestaltung zu nutzen, was je nach Region auch gegenwärtig noch oft in Bauerngärten zu sehen ist. Nach dem Zweiten Weltkrieg verlor die Wichtigkeit der Selbstversorgung erneut an Wert und somit auch die Bedeutung der Bauerngärten.

 

Mit seiner geometrischen Beetstruktur sowie dem mittigen Rondell mit Hochstammrose entspricht dieser Garten wohl am ehesten dem allgemeinen Bild eines typischen Bauerngartens.

Mündlich überliefert

Mit dem Verlust ihres Stellenwertes verschwanden auch die Bauerngärten selbst immer mehr. Höfe und Gärten wechselten in neue Hände und wurden dabei jedes Mal einem weiteren Wandel unterzogen: Alte Pflanzen und Gartenbauten wurden entfernt und durch zeitgenössischere ersetzt. Jahrelang gehegte und gepflegte Bauerngärten wurden aufgegeben, weil die Bäuerinnen die Arbeit aufgrund von Alter oder Zeitmangel nicht mehr stemmen konnten. So manch ein Bauernhaus ging in den Besitz von Leuten über, die keinen Bezug mehr zur Landwirtschaft hatten und deshalb auch nicht am Erhalt eines pflegeintensiven Bauerngartens interessiert waren. Dass damit auch eine Tradition verloren ging, ist wenig überraschend. Doch dass es zu diesem Thema so wenige schriftliche Aufzeichnungen gibt, erstaunt. Grund dafür ist, dass es sich beim traditionellen Wissen über Anbau, Pflege, Ernte und Vermehrung von Pflanzen überwiegend um persönliche Erfahrungen handelt, welche in den Bauernfamilien über Generationen von der Mutter an die Tochter weitergegeben wurden. Die fehlende Dokumentierung dieses geistigen Kulturgutes ist ein Problem, denn sie gefährdet den Erhalt wichtiger kultureller Landwirtschaftsgeschichte.

 

Dahlien und Kohlgemüse Seite an Seite im bäuerlichen Selbstversorgergarten

Die Idee einer Garten-Route

Dass sich ein solcher Schatz an geistigem Kulturgut im Laufe der Zeit nicht einfach in Luft auflösen darf, erkannte auch eine engagierte Bäuerin aus dem Kanton Thurgau: Elisabeth Bommeli-Reutlinger. Um die Wichtigkeit dieses Kulturguts wieder vermehrt in den Fokus der Gesellschaft zu rücken, wandte sie sich an das Amt für Denkmalpflege in Frauenfeld. Ihr Anliegen, die Bauerngärten den Menschen wieder näherzubringen und so das traditionelle Wissen vor dem Vergessen zu bewahren, stiess dort auf offene Ohren. Aus einer fruchtbaren Zusammenarbeit entstand nicht nur das 200-seitige Buch «Thurgauer Bauerngärten», sondern auch ein jährlicher Anlass: Eine Führung durch verschiedene Bauerngärten des Kantons Thurgau. Doch dem nicht genug: Im Jahr 2018 kontaktierten die Verantwortlichen vom Amt für Denkmalpflege Frauenfeld das Berufsbildungszentrum Arenenberg mit einer weiteren Projektidee, einer Bauerngarten-Route. Gemeinsam mit dem internationalen Gartennetzwerk Bodenseegärten initiierte das Berufsbildungszentrum Arenenberg als Interessensgemeinschaft die Bauerngarten-Route Thurgau und gründete einen Verein mit dem Ziel, dieses vielseitige ländliche Kulturgut zu erhalten: «Man möchte in den Köpfen bleiben», so Daniel Brogle, Gärtnermeister und Leiter der Gärten von Schloss Arenenberg. Über einen Aufruf unter den Thurgauer Landfrauen fanden sie die ersten Bauerngärten, die den geforderten Kriterien entsprachen: Im Idealfall sollte ein solcher Garten neben einem Bauernhaus liegen und sowohl Nutz- als auch Zierpflanzen beinhalten. Eine Mischung aus Gemüse, Kräutern, Beeren, Blumen, Stauden und Sträuchern ist auch für einen modernen Bauerngarten bezeichnend. Alle aktuellen 15 Gärten der Bauerngarten-Route Thurgau entsprechen diesen Merkmalen und sind trotzdem sehr unterschiedlich. Gerade diese Tatsache macht eine Besichtigung dieser Gärten umso interessanter.

 

Zu diesem Gartentyp gehört in der Regel noch immer eine Einfriedung in Form einer Hecke, einer Mauer oder eines Zaunes und er ist mit einer Bank oder einem Sitzplatz zum gemütlichen Verweilen ausgestattet.

Vielgestaltige Etappen

Auf der Website des Vereins gibt es verschiedene Streckenideen und Ziele, ob zu Fuss oder mit dem Velo. Angefangen beim Klostergarten der Kartause Ittingen über den Biobetrieb Arenenberg Salenstein und die Komturei-Gärten in Tobel sowie die zahlreichen mit viel Herzblut gepflegten privaten Bauerngärten. So dient einer zum Beispiel nach altem Vorbild zur Selbstversorgung und neben Biogemüse für die Küche werden verschiedene Pflanzen zum Sortenerhalt für ProSpecieRara gezogen. «Natürlich selbstversorgt» ist das Motto eines weiteren Bauerngartens inmitten der Stadt Kreuzlingen, wo sich nach dem Permakulturprinzip Tiere, Pflanzen und Menschen einen Lebensraum in Eintracht teilen. Je nach Saison sieht man in den romantischeren Bauerngärten auch Frühjahrsblüher, verschiedene Rosen, Stauden und Sommerblumen.

 

Typische Zierpflanzen eines Bauerngartens sind Pfingstrosen, Rittersporn, Dahlien, Sommer- und Herbst-Astern, Sonnenhut und Phlox.

Wie die zugehörigen Besitzerinnen sind auch ihre Bauerngärten sehr individuell. Sowohl in der Gestaltung der Anlage als auch in der Bepflanzung der Beete. Jeder Garten erzählt seine eigene Geschichte, in die man bei einem Besuch ein kleines Stück weit eintauchen darf. Viele Gärten der Bauerngarten-Route Thurgau sind jederzeit zugänglich, andere dürfen vom Gartenzaun aus bestaunt werden. An ausgewählten Tagen sind alle Bauerngärten für Interessierte geöffnet und die Gärtnerinnen laden zu persönlichen Führungen in ihre Refugien ein.

 

Lückenlose Bepflanzung mit unterschiedlichen Kulturen an Nutz- und Zierpflanzen

Bauerngarten ist nicht gleich Bauerngarten

Gärten tragen die individuelle Handschrift der Menschen, die sie gestaltet haben. Aber auch regionale Gegebenheiten wie Tradition, wirtschaftliche Verhältnisse, Topografie und das Klima prägten das Leben unserer Vorfahren und damit auch ihre Bauerngärten. Je nach Gebiet sind die Unterschiede teilweise sogar frappant. So lässt sich im Buch «Bauerngärten zwischen Säntis und Bodensee» nachlesen, dass die für den Thurgau so typische Mischung aus Nutz- und Ziergarten im Rheintal zum Beispiel überhaupt nicht zu finden ist. In den beiden Kantonen Appenzell waren die Hofumgebungen im Vergleich zu jenen im Kanton Thurgau karg. Dazu passend wurde der sehr einfache Gemüsegarten schlicht «Pflanzblätz» genannt. Dass diese Gärten im Vergleich zu den im Thurgau üblichen üppigen Mischgärten so reduziert waren, mag vermutlich aber auch daran liegen, dass im Appenzellerland häufig der Viehwirtschaft und der Handweberei gleichzeitig nachgegangen wurde. Viel Zeit zum Gärtnern blieb den Bauersleuten wohl nicht mehr übrig. Der Garten diente deshalb ausschliesslich zur Produktion der nötigsten Nahrungsmittel für die eigene Familie.

 

Ein Bauerngarten kann auch schlicht zweckmässig wie ein «Pflanzblätz» sein

Grundsätzlich hatte der Unterhalt eines Bauerngartens nie viel mit dem romantisierten Bild zu tun, das den meisten heute beim Anblick eines solch prächtigen Gartens in den Sinn kommt. Im Gegenteil: Die Pflege eines Bauerngartens war und ist mit dem Anbau verschiedener Kulturen sehr zeitintensiv und hat nur im Entferntesten etwas mit einem normalen Hausgarten gemeinsam. Manche Bäuerin musste aus Mangel an Zeit ihren Bauerngarten leider wieder aufgeben. Das Fortbestehen der Bauerngarten-Route Thurgau ist also nicht selbstverständlich und auf das Engagement privater Gartenenthusiasten angewiesen.

 

Typisch ist eine Ein­friedung in Form von Zäunen oder Hecken

Der heutige Stellenwert

Bauerngärten sind ein lebendiges Archiv der Schweizer Landwirtschaftskultur, sie erzählen Geschichten von Menschen, geben einen Einblick in die Landwirtschaftspraxis vergangener Zeiten und bewahren damit das kulturelle Erbe. Heute haben Bauerngärten neben der Ästhetik und dem Erhalt von Traditionen aber auch einen praktischen Nutzen. Sie sind quasi Sinnbild für einen Selbstversorgergarten: Mit dem ökologi­schen Anbau von frischem Gemü­se, Beeren, Kräutern und Blumen können Geld, Energie, Verpackung und weite Transportwege einge­spart werden. Regionaler und sai­sonaler geht es nicht. Bauerngär­ten tragen zum Erhalt der Biodi­versität bei. Auch wenn es sich dabei mehrheitlich um eine nicht­ einheimische handelt, bieten die­ se Gärten trotzdem einer grossen Vielzahl von Insekten und Vögeln einen Lebensraum. Alte Gemüse­sorten, welche es im Laden nicht zu kaufen gibt, werden in Bauern­gärten erhalten und traditionelle Blumensorten, die seit Generatio­nen das ganze Jahr über in Bauern­ gärten blühen, sind wunderschöne Zeugen vergangener Zeiten. In der heutigen hektischen Welt sind Bauerngärten Orte der Ruhe:

Sie bieten eine Flucht aus dem urba­nen Trubel und erinnern uns an unsere Wurzeln und daran, dass es wichtig ist, mit der Natur in Ver­bindung zu bleiben.
 

Ein klassischer Bauern­ garten, wie er früher im Thurgau öfter an­ zutreffen war

 

Bauerngarten-Route Thurgau

Gelebtes historisches Erbe

Mit ihrer Plattform gibt die Interessen-gemeinschaft den Bäuerinnen und ihren Gärten eine Präsenz. Sie würdigt ihre Bemühungen, diese Art von Gärten am Leben zu erhalten und schafft gleichzeitig mehr Sichtbarkeit für die immer mehr in Vergessenheit geratene Geschichte der Bauerngärten. Mit ihren Aktivitäten erhofft sie sich ausserdem mehr Aufmerksamkeit in der Bevölkerung. Neue Gärten für die Bauerngarten-Route Thurgau seien willkommen, teilte Monika Grünenfelder von den Bodenseegärten auf Nachfrage mit. Wer einen solchen Garten besitzt und sich für den Erhalt des ländlichen Kulturgutes interessiert, findet weitere Informationen auf der Website des Vereins. Dieser bietet übrigens auch bei der Erstellung oder Veränderung eines bestehenden Bauerngartens Hilfestellung in Form von Beratungen.

 

Weitere Informationen

Verein Bodenseegärten
Schloss Arenenberg
Salenstein
Telefon +41 58 345 74 27
bauerngartenroute-thurgau.ch

 
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