Die SUGi-Revolution lässt Bäume wachsen

Zeitraffer-Wälder im Taschenformat

Elise Van Middelem, Gründerin des SUGi-Projekts, fördert weltweit das Pflanzen von Bäumen und vertraut dabei auf eine japanische Methode, die Aufforstungen einen ganz neuen Zeithorizont gibt. Bäume sollen wieder vermehrt einen Platz in Städten haben und es den Menschen ermöglichen, eine Verbindung zur Natur aufzubauen.

Eine Luftaufnahme des SUGi-Projekts in Beirut (Libanon), das 2019/2020 umgesetzt wurde.

Eine Luftaufnahme des SUGi-Projekts in Beirut (Libanon), das 2019/2020 umgesetzt wurde.

 

«Jeder Mensch soll in seinem Leben einen Baum pflanzen.» Das Zitat aus dem 1721 erschienenen Roman Persische Briefe von Charles de Secondat, Baron de Montesquieu, klingt auch heute noch in manchen Ohren vertraut. Das Sprichwort kennt viele Variationen, angebliche Ursprünge und Zuschreibungen. Der älteste Hinweis findet sich im babylonischen Talmud, wobei sich dort die Empfehlung ausschliesslich an Männer richtet und zusätzlich noch weitere Anleitungen für deren Lebensführung bereithält. Glücklicherweise ist das Pflanzen von Bäumen kein rein maskulines Projekt geblieben. 

In Workshops und an gemeinsamen Pflanztagen setzen sich Interessierte mit der Miyawaki-Methode praktisch auseinander.

In Workshops und an gemeinsamen Pflanztagen setzen sich Interessierte mit der Miyawaki-Methode praktisch auseinander.

 

Bäume per Klick

Menschen, die heute einen Baum pflanzen wollen, stellen sich andere Probleme. Weltweit verlieren viele durch Urbanisierung, Zerstörung der Lebensgrundlagen auf dem Land oder durch Spekulation den Zugang zu Boden. Verschiedene soziale und ökonomische Faktoren akzentuieren die Entfremdung von Mensch und Natur. In den wohlhabenden Industrienationen versuchen Initiant*innen verschiedener Projekte und Umweltorganisationen seit Jahrzehnten, die tatsächliche wie auch gefühlte Distanz zu Naturräumen zu verkleinern, welche viele Menschen im urbanen Raum erleben. Mit wenigen Klicks und einer Kreditkarte ist irgendwo auf der Welt schnell ein Baum gepflanzt.

Für das neu entstandene Quartier Chrummbächli in Richterswil hat SUGi den Auftrag erhalten, sowohl die Gebäude als auch die Umgebung naturnah zu gestalten.

Für das neu entstandene Quartier Chrummbächli in Richterswil hat SUGi den Auftrag erhalten, sowohl die Gebäude als auch die Umgebung naturnah zu gestalten.

 

Eine Frage der Verbundenheit

Der weltweit stattfindende Rückgang der Biodiversität und der rasante Verlust von natürlichen Lebensräumen bringt viele Menschen dazu, etwas unternehmen zu wollen. So auch die gebürtige Belgierin Elise Van Middelem, die sich seit 2018 damit auseinandersetzt, wie Einzelpersonen wieder eine Verbindung zur Natur aufbauen können: «Ich habe nach etwas gesucht, das einfach einen Unterschied macht», sagt sie und erzählt von ihrem Versuch, Bäume wachsen zu lassen. Ein erstes Projekt liegt in Nepal, wo ein Freund 200 Apfelbäume gepflanzt hat. Allerdings ist das weit weg von Zürich, London und San Francisco, von wo aus Elise Van Middelem auf der ganzen Welt als Beraterin sowie als Event- und Projektmanagerin tätig ist. Ein Baum ist schnell gepflanzt, aber wie sieht es mit der Verbundenheit aus? 

Elise van Middelem findet über die virtuell dokumentierten SUGi-Wälder Zugang zur Natur.

Elise van Middelem findet über die virtuell dokumentierten SUGi-Wälder Zugang zur Natur.

 

Das Gedeihen miterleben

Aus dieser Situation heraus entstand die Idee für eine App, die es erleichtern soll, Bäume und ganze Wälder zu pflanzen und deren Wachstum mitzuverfolgen. Mit der SUGi-App werden die Nutzer*innen mit den mehrheitlich urbanen Forstprojekten verbunden, die seit 2019 auf der ganzen Welt entstanden sind. Durch die App können Interessierte eigene Projekte starten oder vorhandene unterstützen und verfolgen. SUGi zielt darauf ab, auf brachliegenden städtischen Flächen wieder Ökosysteme aufzubauen, die der einheimischen Flora und Fauna Lebensraum bieten. Durch eine Teilnahme an einem SUGi-Wald mittels einer Spende wird der Betrag direkt an das entsprechende Projekt übermittelt. Dort bereiten die Verantwortlichen die nötigen Setzlinge vor, welche zeitnah gepflanzt werden. Vor Ort wird die Pflanzung betreut und laufend dokumentiert, womit sich der wachsende Wald über die App verfolgen lässt. 

Für Kinder und Jugendliche ist das unmittelbare Erleben prägend, die Möglichkeit, selbst zu gärtnern.

Für Kinder und Jugendliche ist das unmittelbare Erleben prägend, die Möglichkeit, selbst zu gärtnern.

 

Artenreich im Taschenformat

Elise Van Middelem verfolgt hochgesteckte Ziele – sie und ihr kleines Team betreuen mittlerweile mehr als hundert Projekte und 25 aktive Baumpflanzer*innen weltweit. Durch SUGi sollen arten-reiche Wälder im Taschenformat entstehen, was sich gut in Städten umsetzen lässt. «Wie wir resiliente urbane Wälder aufbauen? Mit der Miyawaki-Methode!», erklärt sie und schwärmt vom Konzept des japanischen Botanikers Akira Miyawaki. Elise untermauert ihre Begeisterung mit Zahlen, indem sie betont, dass Miyawaki-Wälder dreissig Mal dichter als konventionell gepflanzte Wälder sind, zehn Mal schneller wachsen und eine mindestens zwanzig Mal grössere Artenvielfalt enthalten. Den Zusammenhang zwischen diesen Grössen versucht der Biologe Nicolas de Brabandere auf der Website seines Projektes Urban Forests aufzuzeigen. Als sogenannter Forest Maker hat er für das SUGi Netzwerk die Miyawaki-Methode unter mitteleuropäischen Bedingungen angewandt und den ersten Miyawaki-Wald in Belgien angepflanzt. 

Verdichtetes Pflanzen

Bei Aufforstungen nach dieser Methode werden ausschliesslich einheimische Pflanzen berücksichtigt. Die Auswahl wird so zusammengestellt, wie sich die mögliche Vegetation am ausgewählten Ort ohne menschliche Eingriffe zeigen könnte. Durch mindestens zwanzig Arten soll bei einer maximalen Pflanzdichte möglichst schnell ein Vegetationsstadium erreicht werden, das eine geschlossene Baumkrone, Bäume in der mittleren Stufe, sowie Sträucher und Gebüsche beinhaltet. Damit auf den oftmals degradierten und verdichteten Böden ein Wald wachsen kann, werden teilweise aufwendige Bodenbearbeitungen durchgeführt und Humus aufgetragen. Die Aufforstung nach dieser Methode will schon bei der Pflanzung eine Situation simulieren, die dem hohen Aufkommen von Keimlingen in einem Wald nahekommt. In engen Abständen werden Setzlinge von vielen verschiedenen einheimischen Bäumen, Sträuchern und Stauden gepflanzt. Da alle Setzlinge zu Beginn mit den gleichen Bedingungen starten, kann sich rasch eine  Vegetation bilden, die sich unter natürlichen Bedingungen viel langsamer entwickeln würde. Im Vergleich dazu würden sich auf urbanen Freiflächen, die einfach verwildern, schnell Pionierpflanzen ausbreiten und einen dichten Bestand bilden. Früher oder später erreichen auch solche Flächen das Waldstadium, allerdings mit einer geringeren Artenvielfalt. An wenig gepflegten Böschungen oder Brachflächen lässt sich zudem beobachten, dass es oftmals gebietsfremde Pflanzen sind, welche die Flächen überwachsen. Zum Schluss einer Miyawaki-Pflanzung wird der künftige Waldboden dick gemulcht, wie es in einem natürlichen Wald über die Jahre durch Laubabfall geschieht. 

Ein gedachter Zustand

Das Forstkonzept von Miyawaki, wie es auch Nicolas de Brabandere in seinem Projekt in Belgien angewandt hat, ist eng verknüpft mit der Theorie der potenziellen natürlichen Vegetation (pnV), die Anfang der 1950er-Jahre vom deutschen Botaniker Reinhold Tüxen entwickelt wurde. Als potenzielle natürliche Vegetation bezeichnet man den Endzustand der Vegetation, den man ohne menschliche Eingriffe im jeweiligen Gebiet erwarten würde. Allerdings ist es objektiv schwierig zu beurteilen, wie die natürliche Pflanzengesellschaft an einem Ort aussehen würde. Zudem sind im urbanen Raum natürliche Dynamiken, unter anderem die Einwanderung von Herbivoren wie beispielsweise Hirschkühe sowie meteorologische Faktoren wie Busch- oder Waldbrände, bisher noch ein eher seltenes Phänomen.

Erstes Projekt in der Schweiz

In Richterswil, am südlichen Zürichseeufer, wurde der bislang erste Miyawaki-Wald der Schweiz umgesetzt. Obwohl eine ursprüngliche Pflanzengesellschaft für diese seit Jahrhunderten stark von Nutzung geprägte Landschaft schwer zu definieren war, wurde eine Liste mit über zwanzig verschiedenen Arten erstellt. Unter anderem wurden Föhren, Lärchen, Bergkiefern, Hainbuchen und Vogelkirschen gepflanzt. James Godfrey-Faussett hat als selbstständiger Unternehmer für Landschaftsplanung und Gartenbau und als Lead Forest Maker von SUGi die Planung in Richterswil übernommen. «Die anfängliche Artenvielfalt etabliert sich schnell. Im Laufe der Jahre erweitern sich die Schichten des Waldökosystems durch all die verschiedenen Organismen, die zusammenleben und aufeinander an-gewiesen sind», fasst James die Perspektive für den neuen Miniaturwald zusammen.

Berührende Erlebnisse

Der entstehende junge Urwald in Richterswil dürfte für Elise Van Middelem von Zürich aus schneller zu erreichen sein als die mächtigen Mammutbäume (Sequoia sempervirens) in den Redwoods an der kalifornischen Pazifikküste. Letztere haben Elise schon früh beeindruckt. Mit den SUGi-Projekten will sie die Magie von Wäldern den Nutzer*innen der App zugänglich machen. Auch sie persönlich hat durch SUGi schon tiefgreifende Erfahrungen gemacht, wie etwa 2019 und 2020 in Beirut, während der  grossen Proteste im Libanon. Zur gleichen Zeit startete die lokale Projektgruppe die Aufforstung einer 200 Quadratmeter grossen Fläche, auf der 800 Bäume gepflanzt wurden. Das Waldprojekt wurde für Elise und die involvierten Personen inmitten der Proteste zu einem Symbol der Hoffnung auf Veränderung und Selbstbestimmung: «Mit SUGi können Menschen weltweit vor Ort einen Wandel bewirken und werden dabei unterstützt.» Gut möglich, dass die SUGi-Wälder dabei helfen, dass in Zukunft mehr Menschen einen Baum in ihrem Leben pflanzen.

Text: Jeremias Lütold, Bilder: zvg

 
Was heisst SUGi?Sugi, die Japanische Zeder (Cryptomeria japonica) ist der Nationalbaum des Landes. Auf der Insel Yakushima, einem UNESCO Welterbe, steht Jōmon Sugi – ein Exemplar, dessen Alter auf 2170 bis 7200 Jahre geschätzt wird.

Was heisst SUGi?

Sugi, die Japanische Zeder (Cryptomeria japonica) ist der Nationalbaum des Landes. Auf der Insel Yakushima, einem UNESCO Welterbe, steht Jōmon Sugi – ein Exemplar, dessen Alter auf 2170 bis 7200 Jahre geschätzt wird.

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Von zwei, die auszogen, einen Waldgarten anzulegen

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